Rede von Gustavo Petro vor der UN-Generalversammlung am 20. September 2022
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Lukas Hövelmann-Köper
English transcription from Peoples Dispatch
Ich komme aus einem der drei schönsten Länder der Erde.
Dort gibt es eine Explosion des Lebens. Tausende bunter Arten in den Meeren, in den Himmeln, in den Ländern... Ich komme aus dem Land der gelben Schmetterlinge und der Magie. Dort, in den Bergen und Tälern aller Grüntöne, fließt nicht nur reichlich Wasser herunter, sondern auch Ströme von Blut. Ich komme aus einem Land von blutiger Schönheit.
Mein Land ist nicht nur schön, es ist auch gewalttätig.
Wie kann die Schönheit mit dem Tod einhergehen, wie kann die Artenvielfalt des Lebens mit den Tänzen des Todes und des Grauens aufbrechen? Wer ist schuld daran, dass die Verzauberung durch den Schrecken gebrochen wird? Wer oder was ist dafür verantwortlich, dass das Leben in den Routineentscheidungen von Reichtum und Zinsen ertrinkt? Wer führt uns als Nation und als Volk ins Verderben?
Mein Land ist schön, weil es den Dschungel des Amazonas, den Dschungel des ChocóWar, die Gewässer, die Bergketten der Anden und die Ozeane hat. Dort, in diesen Wäldern, wird der Sauerstoff des Planeten abgegeben und das CO2 der Atmosphäre absorbiert. Eine dieser CO2-absorbierenden Pflanzen ist unter Millionen von Arten eine der am meisten verfolgten auf der Erde. Um jeden Preis wird ihre Vernichtung angestrebt: Es handelt sich um eine Pflanze aus dem Amazonasgebiet, die Kokapflanze, eine heilige Pflanze der Inkas. [Sie steht] an einem paradoxen Scheideweg.
Der Dschungel, der versucht, uns zu retten, wird gleichzeitig zerstört. Um die Kokapflanze zu zerstören, versprühen sie Gifte, Glyphosat in Massen, das durch die Gewässer fließt, sie verhaften die Anbauer und sperren sie ein. Für die Zerstörung oder den Besitz des Kokablattes werden eine Million Lateinamerikaner getötet und zwei Millionen Afroamerikaner in Nordamerika inhaftiert. Zerstört die Pflanze, die tötet, schreien sie aus dem Norden, aber die Pflanze ist nur eine weitere von Millionen, die umkommen, wenn sie das Feuer auf den Dschungel entfesseln. Die Zerstörung des Dschungels, des Amazonas, ist zum Slogan geworden, dem Staaten und Geschäftsleute folgen. Der Aufschrei der Wissenschaftler, die den Regenwald als eine der großen Klimasäulen preisen, bleibt unbedeutend.
Für die Machtverhältnisse in der Welt sind der Urwald und seine Bewohner schuld an der Plage, die sie plagt. Die Machtverhältnisse sind geplagt von der Sucht nach Geld, um sich zu verewigen, nach Öl, nach Kokain und nach den härtesten Drogen, um sich weiter betäuben zu können. Nichts ist heuchlerischer als der Diskurs zur Rettung des Regenwaldes. Der Dschungel brennt, meine Herren, während Sie Krieg führen und damit spielen. Der Regenwald, die klimatische Säule der Welt, verschwindet mit all seinem Leben.
Der große Schwamm, der das CO2 des Planeten absorbiert, verdunstet. Der rettende Wald wird in meinem Land als Feind betrachtet, der besiegt werden muss, als Unkraut, das ausgerottet werden muss.
Koka und die Bauern, die es anbauen, weil sie nichts anderes anbauen können, werden dämonisiert. Ihr seid in meinem Land nur daran interessiert, unsere Dschungel mit Giften zu besprühen, unsere Männer ins Gefängnis zu bringen und unsere Frauen auszugrenzen. Ihr seid nicht an der Erziehung des Kindes interessiert, sondern daran, seinen Dschungel zu töten und Kohle und Öl aus seinen Eingeweiden zu gewinnen. Der Schwamm, der das Gift aufsaugt, ist nutzlos, sie ziehen es vor, mehr Gifte in die Atmosphäre zu werfen.
Wir dienen ihnen nur dazu, die Leere und Einsamkeit ihrer eigenen Gesellschaft zu füllen, die sie dazu bringt, inmitten von Drogenblasen zu leben. Wir verbergen vor ihnen ihre Probleme, die sie ablehnen, zu reformieren. Es ist besser, dem Dschungel, seinen Pflanzen und seinen Menschen den Krieg zu erklären. Während sie die Wälder verbrennen lassen, während Heuchler die Pflanzen mit Giften jagen, um die Katastrophen ihrer eigenen Gesellschaft zu verbergen, bitten sie uns um immer mehr Kohle, immer mehr Öl, um die andere Sucht zu beruhigen: die nach Konsum, nach Macht, nach Geld.
Was ist giftiger für die Menschheit, Kokain, Kohle oder Öl? Das Diktat der Macht hat verfügt, dass Kokain das Gift ist und verfolgt werden muss, auch wenn es nur minimale Todesfälle durch Überdosierung verursacht, und noch mehr durch die Mischungen, die durch die Heimlichkeit notwendig sind, aber Kohle und Öl müssen geschützt werden, auch wenn ihr Gebrauch die gesamte Menschheit auslöschen könnte.
Das sind die Dinge der Weltmacht, Dinge der Ungerechtigkeit, Dinge der Irrationalität, denn Weltmacht ist irrational geworden. Sie sehen im Überschwang des Dschungels, in seiner Vitalität, das Lustvolle, das Sündige; den schuldigen Ursprung der Traurigkeit ihrer Gesellschaften, durchdrungen vom unbegrenzten Zwang zu haben und zu konsumieren. Wie kann man die Einsamkeit des Herzens, seine Trockenheit inmitten einer Gesellschaft ohne Zuneigung verbergen, konkurrierend bis zum Einsperren der Seele in die Einsamkeit, wenn nicht durch die Schuld der Pflanze, des Menschen, der sie kultiviert, der freiheitlichen Geheimnisse des Dschungels.
Der irrationalen Macht der Welt zufolge ist es nicht die Schuld des Marktes, der die Existenz beschneidet, sondern die Schuld des Dschungels und derer, die ihn bewohnen. Die Bankkonten sind unbegrenzt geworden, das Geld, das die Mächtigsten der Erde angespart haben, wird nicht einmal in der Zeit der Jahrhunderte ausgegeben werden können. Die Traurigkeit des Daseins, die durch diesen künstlichen Aufruf zum Wettbewerb erzeugt wird, ist erfüllt von Lärm und Drogen. Die Sucht nach Geld und Besitz hat ein anderes Gesicht: die Sucht nach Drogen bei den Verlierern des Wettbewerbs, bei den Verlierern des künstlichen Wettlaufs, in den sie die Menschheit verwandelt haben.
Die Krankheit der Einsamkeit lässt sich nicht mit Glyphosat heilen, das auf die Wälder gesprüht wird. Es ist nicht der Regenwald, der daran schuld ist.
Schuld ist ihre Gesellschaft, die im endlosen Konsum erzogen wurde, in der dummen Verwechslung von Konsum und Glück, die es den Taschen der Macht erlaubt, sich mit Geld zu füllen. Der Schuldige an der Drogensucht ist nicht der Dschungel, sondern die Irrationalität eurer Weltmacht. Versucht, eurer Macht einen Sinn zu geben. Schaltet die Lichter des Jahrhunderts wieder ein. Der Krieg gegen die Drogen hat 40 Jahre gedauert. Wenn wir den Kurs nicht korrigieren und er weitere 40 Jahre andauert, werden die Vereinigten Staaten erleben, wie 2.800.000 junge Menschen an einer Überdosis Fentanyl sterben, das nicht in unserem Lateinamerika hergestellt wird. Sie werden Millionen von Afroamerikanern in ihren Privatgefängnissen inhaftiert sehen.
Der Afro-Gefangene wird zu einem Geschäft der Gefängnisgesellschaften werden, eine Million weiterer Lateinamerikaner werden ermordet werden, unsere Gewässer und unsere grünen Felder werden mit Blut gefüllt sein, der Traum von Demokratie wird in meinem Amerika ebenso sterben wie im angelsächsischen Amerika. Die Demokratie wird dort sterben, wo sie geboren wurde, im großen westeuropäischen Athen. Wenn sie die Wahrheit verschweigen, werden sie den Dschungel und die Demokratien sterben sehen. Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert.
Der Kampf gegen die Klimakrise ist gescheitert. Der tödliche Konsum hat zugenommen, von den weichen zu den harten Drogen, Völkermord hat auf meinem Kontinent und in meinem Land stattgefunden, Millionen von Menschen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, und um ihre eigene soziale Schuld zu verbergen, haben sie dem Regenwald und seinen Pflanzen die Schuld gegeben. Sie haben Reden und Politik mit Unsinn gefüllt. Ich fordere von hier, von meinem verwundeten Lateinamerika, dass der irrationale Krieg gegen die Drogen beendet wird. Um den Drogenkonsum einzudämmen, brauchen wir keine Kriege, sondern wir alle müssen eine bessere Gesellschaft aufbauen: eine fürsorglichere, liebevollere Gesellschaft, in der die Intensität des Lebens vor Süchten und neuer Sklaverei bewahrt. Wollt ihr weniger Drogen? Denken Sie an weniger Profit und mehr Liebe. Denken Sie an eine vernünftige Ausübung der Macht.
Rührt nicht mit euren Giften die Schönheit meines Heimatlandes an, helft uns ohne Heuchelei, den Amazonas-Regenwald zu retten, um das Leben der Menschheit auf dem Planeten zu retten. Ihr habt die Wissenschaftler versammelt, und sie haben mit Vernunft gesprochen. Mit Mathematik und Klimamodellen sagten sie, dass das Ende der menschlichen Spezies nahe sei, dass ihre Zeit nicht mehr Jahrtausende, nicht einmal Jahrhunderte betrage. Die Wissenschaft ließ die Alarmglocken läuten und wir hörten nicht mehr auf sie.
Der Krieg diente als Vorwand, um nicht die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Als es am nötigsten war zu handeln, als Reden nichts mehr nützten, als es unabdingbar war, Geld in Fonds einzuzahlen, um die Menschheit zu retten, als es notwendig war, so schnell wie möglich von Kohle und Öl wegzukommen, erfand man einen Krieg nach dem anderen. Sie überfielen die Ukraine, aber auch den Irak, Libyen und Syrien.
Sie fielen im Namen von Öl und Gas ein. Im 21. Jahrhundert haben sie die schlimmste ihrer Süchte entdeckt: die Sucht nach Geld und Öl. Kriege haben ihnen als Vorwand gedient, um nicht gegen die Klimakrise vorzugehen. Kriege haben ihnen gezeigt, wie abhängig sie von dem sind, was die menschliche Spezies töten wird.
Wenn man beobachtet, dass die Völker vor Hunger und Durst überquellen und zu Millionen nach Norden wandern, dorthin, wo es Wasser gibt, dann schließt man sie ein, baut Mauern, setzt Maschinengewehre ein, schießt auf sie. Man vertreibt sie, als ob sie keine Menschen wären, man reproduziert fünfmal die Mentalität derjenigen, die politisch die Gaskammern und die Konzentrationslager geschaffen haben, man reproduziert in planetarischem Maßstab 1933.
Der große Triumph des Angriffs auf die Vernunft. Sehen Sie nicht, dass die Lösung für den großen Exodus, der über Ihre Länder hereingebrochen ist, darin besteht, zum Wasser zurückzukehren, das die Flüsse füllt und die Felder mit Nährstoffen versorgt? Die Klimakatastrophe füllt uns mit Viren, die uns überschwemmen, aber Sie machen Geschäfte mit Medikamenten und verwandeln Impfstoffe in Handelsware. Sie schlagen vor, dass der Markt uns vor dem retten wird, was der Markt selbst geschaffen hat. Der Frankenstein der Menschheit liegt darin, den Markt und die Gier ohne Planung agieren zu lassen und das Gehirn und die Vernunft auszuschalten. Die menschliche Rationalität wird der Gier geopfert.
Was nützt ein Krieg, wenn es darum geht, die menschliche Spezies zu retten? Was nützen NATO und Imperien, wenn das, was kommt, das Ende der Intelligenz ist? Die Klimakatastrophe wird Hunderte von Millionen von Menschen töten, und hören Sie gut zu, sie wird nicht vom Planeten verursacht, sondern vom Kapital.
Die Ursache für die Klimakatastrophe ist das Kapital. Die Logik des Zusammenkommens, nur um mehr und mehr zu konsumieren, mehr und mehr zu produzieren und für einige mehr und mehr zu verdienen, erzeugt die Klimakatastrophe. Sie haben die Logik der erweiterten Akkumulation auf die Energiemaschinen Kohle und Öl angewandt und den Orkan entfesselt: die immer tiefere und tödlichere chemische Veränderung der Atmosphäre. In einer Parallelwelt ist die erweiterte Akkumulation des Kapitals eine erweiterte Akkumulation des Todes.
Aus den Ländern des Dschungels und der Schönheit. Dort, wo man beschlossen hat, eine Pflanze des Amazonas-Regenwaldes zum Feind zu erklären, ihre Erzeuger auszuliefern und zu inhaftieren, rufe ich Sie auf, den Krieg zu beenden und die Klimakatastrophe aufzuhalten. Hier, in diesem Amazonas-Regenwald, gibt es ein Versagen der Menschheit.
Hinter den Feuern, die ihn verbrennen, hinter seiner Vergiftung steht ein ganzheitliches, zivilisatorisches Versagen der Menschheit. Hinter der Sucht nach Kokain und Drogen, hinter der Sucht nach Öl und Kohle steht die eigentliche Sucht dieser Phase der menschlichen Geschichte: die Sucht nach irrationaler Macht, nach Profit und Geld. Dies ist die gewaltige tödliche Maschinerie, die die Menschheit auslöschen kann.
Als Präsident eines der schönsten Länder der Erde, aber auch eines der blutigsten und am meisten geschändeten, schlage ich Ihnen vor, den Krieg gegen die Drogen zu beenden und unserem Volk ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Zu diesem Zweck rufe ich ganz Lateinamerika auf. Ich rufe die Stimme Lateinamerikas auf, sich zu vereinen, um das Irrationale zu besiegen, das unsere Körper martert. Ich rufe Sie auf, den Amazonas-Regenwald ganzheitlich mit den Ressourcen zu retten, die weltweit für das Leben bereitgestellt werden können.
Wenn Sie nicht in der Lage sind, den Fonds für die Wiederbelebung der Wälder zu finanzieren, wenn es mehr wiegt, Geld für Waffen als für das Leben auszugeben, dann reduzieren Sie die Auslandsverschuldung, um unsere eigenen Haushaltsspielräume freizumachen, und erfüllen Sie damit die Aufgabe, die Menschheit und das Leben auf dem Planeten zu retten. Wir können es tun, wenn Sie nicht wollen. Tauschen Sie einfach die Schulden gegen das Leben, gegen die Natur. Ich schlage vor, und ich rufe Lateinamerika dazu auf, den Dialog aufzunehmen, um den Krieg zu beenden. Setzen Sie uns nicht unter Druck, uns auf den Feldern des Krieges auszurichten.
Es ist Zeit für FRIEDEN.
Lassen Sie die slawischen Völker miteinander reden, lassen Sie die Völker der Welt miteinander reden. Der Krieg ist nur eine Falle, die das Ende der Zeit in einer großen Orgie der Irrationalität näher bringt.
Von Lateinamerika aus rufen wir die Ukraine und Russland auf, Frieden zu schließen. Nur im Frieden können wir das Leben in diesem unserem Land retten. Es gibt keinen totalen Frieden ohne soziale, wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit. Wir befinden uns auch im Krieg mit unserem Planeten. Ohne Frieden mit dem Planeten wird es keinen Frieden zwischen den Nationen geben. Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es auch keinen sozialen Frieden.
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